Kindliche Sprachstörungen
Kinder mit verzögerter Sprachentwicklung
Kinder mit unüblicher Sprachentwicklung
Bei welchen Kindern spricht man von einer Sprachstörung?
- Kinder, deren Aussprache auffällig ist, weil sie Laute ersetzen (Aussprachestörung)
- Kinder, die Worte nicht so schnell lernen wie gleichaltrige Kinder oder die sie immer wieder vergessen (Semantisch-Lexikalische Störung)
- Kinder, die Sätze mit unüblicher oder nicht mehr altersgemäßer Wortreihenfolge bilden oder die Wörter nicht wie üblich gebeugt werden (Dysgrammatismus)
- Kinder, deren Verstehen von Sprache nicht ihrer sonstigen Entwicklung entspricht (Sprachverstehensstörung)
Muss jede Aussprachestörung behandelt werden?
In der Logopädie wird inzwischen üblicherweise zwischen 3 Störungen unterschieden:
- Artikulationsstörung: Das Kind spricht „s“ und „sch“. Es klingt aber gelispelt und undeutlich. Ursache ist häufig eine Schwäche der Zunge oder Angewöhnung. In Abhängigkeit von bedrohter Zahnstellung oder Leidensdruck des Kindes kann logopädische Therapie indiziert sein.
- Phonologische Verzögerung: Kinder sprechen nicht sofort alle Laute unserer Sprache. So ist das Schwein häufig noch ein „Wein“ oder aus kann nicht wird „tann nicht“. Dies ist normaler Entwicklungsprozess. Logopädinnen wissen, welche Laute und Lautverbindungen in welchem Alter üblicherweise erworben sind. Stellen sie fest, dass ein Kind diesen Zeitpunkt schon über 6 Monate überschritten hat, können sie die Aufnahme logopädischer Therapie empfehlen, da die Entwicklung stagniert und unter Umständen andere Entwicklungsbereiche beeinträchtigt.
- Phonologische Störung: Es gibt Kinder, die Laute durch andere Laute ersetzen, wie es in der normalen Entwicklung sonst nicht zu beobachten ist. Hier spricht man daher auch nicht von einer Verzögerung sondern von einer Störung. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich dies in der Regel nicht von selbst auswächst, sondern gezielter logopädischer Intervention bedarf.
Woher weiß ich denn, ob der Wortschatz meines Kindes altersgemäß ist?
Naturgemäß verfügt jedes Kind über einen anderen Wortschatz als ein anderes Kind.
Um festzustellen, dass Ihr Kind über einen ausreichenden Grundlagenwortschatz verfügt, wenden Logopädinnen in der Praxis standardisierte Testverfahren an, die ausschließen sollen, dass der Wortschatz Ihres Kindes zu klein ist. Neben dem „Zählen“ von Worten ist allerdings ebenso die Beobachtung beim Benennen wichtig: Braucht das Kind lang, um Worte zu finden? Ersetzt es Tier- oder Obstnamen durch ähnliche Wörter? Werden Sätze immer wieder umgestellt oder unterbrochen, weil ein Wort gerade nicht einfällt?
Je nach Grad und Auswirkung der Beeinträchtigung wird die Logopädin mit Ihnen besprochen, ob die Aufnahme einer Therapiemaßnahme sinnvoll erscheint.
Wachsen sich Grammatikprobleme nicht aus?
Auch komplexe Sätze werden von kleinen Kindern nicht auf Anhieb gebildet. „Mama Eis kaufen.“ ist eine angemessene Äußerung für ein zweijähriges Kind; bei einem sonst unauffälligem vierjährigen Kind ist dies eher fraglich. Sagt ein vierjähriges Kind, dass es das Eis allein „aufgeesst“ habe, so macht uns das keine Sorgen, mit acht Jahren sollte es das Eis aber eher „aufgegessen“ haben. In der Tat ist es bei der Arbeit mit Kindern erfreulich, dass sie häufig Entwicklungen zeigen. Dennoch ist einem pauschalen „Mal Abwarten“ eher mit Vorsicht zu begegnen.
Die aktuelle Forschung zeigt, dass Kinder zu bestimmten Zeitpunkten besonders empfänglich für den Erwerb von bestimmten Grammatikerwerbsschritten sind. Werden diese nicht genutzt, ist der Spracherwerb mühselig und zieht sich in die Länge. Strukturen werden gelernt, können aber nicht mit Leichtigkeit verwendet werden. Ob Ihr Kind eine gezielte Maßnahme zum Anstoßen einer Entwicklungsstufe nötig hat oder auch einmal eine Pause, wird Ihre Logopädin auf der Grundlage ihres Wissens mit Ihnen entscheiden.
Auch wir Logopädinnen wissen, dass ein Blümchen nicht schneller wächst, wenn wir immer daran ziehen – aber dass es zu bestimmten Zeitpunkten ein wenig Wasser braucht.
Woher kommen eigentlich kindliche Sprachstörungen?
Die Forschung ist aktuell noch nicht so weit, dass sie die oben beschriebenen Sprachstörungen eindeutig einer bestimmten Ursache zuschreiben kann. Diskutiert wird ein Zusammenspiel von mehreren Faktoren, wie beispielsweise einer sprachgenetischen Schwäche und Beeinträchtigung der Reifung in einer sensiblen Phase. Anders sieht es aus, wenn eine grundlegende andere Beeinträchtigung die Entwicklung von Sprache erschwert, wie beispielsweise:
Missbildungen oder muskuläre Schwächen im Lippen-Kiefer-Gaumen-Bereich
Hörschädigungen
allgemeine psychomotorische Entwicklungsverzögerung
In diesen Fällen steht zunächst die Verbesserung der ursächlichen Beeinträchtigung im Vordergrund, um auf dieser Basis dann die Sprache bestmöglich zu fördern.
Wie sieht die Therapie aus?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Kind am Tisch oder vor dem Spiegel Übungen macht. Das können auch wir uns nicht vorstellen. Übungen zur Mundmotorik haben ihren Platz in der myofunktionellen Therapie (siehe dort), selten auch im Rahmen einer Artikulationstherapie. Aber lange galten sie als „Allheilmittel“ für jegliche Sprachproblematik.
Für die anderen Bereiche gilt, dass wir beim Kind Erwerbsschritte auslösen wollen, nicht etwas von „außen“ beibringen. Dies planen wir in sehr feinen Schritten. Zum Erreichen dieser Ziele sind wir auf die Kooperation des Kindes angewiesen. Dementsprechend müssen wir uns seiner Interessen bedienen, passende Angebote machen und diese als „Vehikel“ für unser Sprachziel nutzen.
Das bedeutet nicht, dass hinter einem äußerlich gesehenen Spiel nicht eine ganz spezifische Therapiemethode steckt. Je nach Störungsbild und Alter des Kindes wenden wir Methoden an, die wir uns in der Ausbildung oder in Fortbildungen angeeignet haben. Zum Teil haben sie sich in der Praxis als effektiv erwiesen oder sind gar schon auf ihre Wirksamkeit in größerem Rahmen untersucht worden.
Wie lange dauert denn die Therapie?
Auch wir möchten gern klare Prognosen geben. Aber dies ist nicht so ohne Weiteres möglich.
Am Anfang einer qualifizierten Therapie steht die Befunderhebung, damit wir wissen, welcher sprachliche Bereich betroffen ist und in welchem Ausmaß. Unter Umständen sind auch mehrere Bereiche betroffen, so dass wir einen Schwerpunkt setzen müssen.
Im Anschluss daran beginnt die Therapie. Diese kann ja nach Erwägung von Eltern, Kinderarzt und Logopädin einmal oder zweimal wöchentlich geplant werden. Je nach Therapiebereich wird die Behandlung einige wenige Wochen oder auch einmal wenige Monate dauern. Dabei haben sich geplante Pausen als effektiv erwiesen. Denn es gilt ja: Das Blümchen wächst nicht schneller, wenn wir immer daran ziehen. In der Regel zeigen sich gerade in den Pause die Entwicklungsfortschritte.
Ist Sprachtherapie überhaupt wichtig? Die Sätze sind doch ganz niedlich.
In der Tat gibt es häufig nette Äußerungen von Kindern. Bis zu einem gewissen Ausmaß brauchen wir uns auch keine Gedanken zu machen. Wenn es sich aber um eine Sprachstörung handelt, ist das Risiko groß, dass sie unbehandelt später in der Schule ihre Folgen zeigt. So zeigen die Kinder Schwierigkeiten bei den Grundfertigkeiten Lesen und Schreiben. Nicht selten ist der Erwerb von anderem Wissen erschwert, weil sie Texte nicht verstehen oder selbst nicht verfassen können.
Die angemessen frühe Sprachtherapie soll dies verhindern oder die Kinder zumindest bestmöglich im Rahmen ihrer Sprachstörung auf die Schule vorbereiten