Stottern

 
Was ist Stottern?

Stottern ist eine Unterbrechung im Fluss des verbalen Ausdrucks, die charakterisiert ist durch unwillentliche, hörbare oder stille Wiederholungen und Dehnungen bei der Äußerung kurzer Sprachelemente, insbesondere: Laute, Silben und Wörter mit einer Silbe. Diese Unterbrechungen geschehen in der Regel häufig oder sind deutlich ausgeprägt und sind nicht ohne weiteres kontrollierbar (Wingate 1964).

 

Was Sie wissen sollten – Beginn und Verlauf des Stotterns

Stottern beginnt überwiegend im Kindesalter. Zu Beginn der Störung kann der Schweregrad des Stotterns verschieden ausgeprägt sein. Danach sind individuell unterschiedliche Verläufe zu beobachten. Häufig scheint sich nach Störungsbeginn der Schweregrad von Kern- und Begleitsymptomen etwas zu mindern. Insgesamt lässt sich im Verlauf häufig eine ausgeprägte Schwankung zwischen völliger oder annähernder Symptomfreiheit und einer Zunahme der Symptomatik beobachten.

50-80 % aller Kinder zeigen eine Remission (spontane Zurückbildung). Unter diesen Kindern sind deutlich mehr Mädchen, so dass im Jugend- und Erwachsenenalter männliche Stotternde im Verhältnis von 4 zu 1 überwiegen. Die Häufigkeit der Remissionen nimmt mit zunehmender Dauer der Störung ab. Nach der Pubertät sind Remissionen beinahe ausgeschlossen.

Bei vielen Kindern im Vorschulalter (etwa zwischen dem 3. und 5. Lebensjahr) treten im Rahmen der normalen Sprach- und Sprechentwicklung Redeunflüssigkeiten auf. Dabei handelt es sich zum Beispiel um das ein- oder mehrfache Wiederholen von Silben, Wörtern oder Satzteilen, um Dehnungen von Lauten oder Pausen. Für das Auftreten dieser entwicklungsbedingten Unflüssigkeiten gibt es zahlreiche unterschiedliche Erklärungsansätze.


Folgende Beispiele seien genannt:

  • die Reifung des zentralen Nervensystems, das für die Koordination der sehr komplizierten Bewegungsabläufe beim Sprechen notwendig ist, sei noch nicht abgeschlossen

  • Denken und Sprechen sei noch nicht vollständig koordiniert, das Denken laufe dem Sprechen davon

  • eine Phase gefühlsmäßiger Unsicherheit zu den Bezugspersonen

  • Schwierigkeiten in den Beziehungen zur Umwelt oder tieferliegende seelische Probleme lägen vor.


In den meisten Fällen klingen diese sprachlichen Unflüssigkeiten nach einer Durchgangsphase von alleine ab, wobei sich angemessene Verhaltensweisen der Umwelt meist günstig auswirken. Bei einigen Kindern entwickelt sich aus diesen Unflüssigkeiten jedoch ein beginnendes oder bleibendes Stottern. Bei einigen Kindern tritt auch erst nach vollendeter Sprachentwicklung plötzlich Stottern auf.


Was kennzeichnet das Stottern?

Stottern ist gekennzeichnet durch eine Veränderung des Sprechflusses, die durch das vermehrte Auftreten bestimmter Unflüssigkeiten hörbar wird und die zusätzlich auch mit Anstrengung verbunden sein kann. Diese Unterbrechungen des Redeflusses können in Wiederholungen, Dehnungen oder auch sogenannten Blockaden/Blocks bestehen. Häufig werden dabei Laut- und Silbenwiederholungen, Lautdehnungen, ungewöhnlich lange Pausen zwischen Lauten und Silben eines Wortes und oft auch Wiederholungen einsilbiger Wörter wahrgenommen.

Das vereinzelte Auftreten symptomatischer Unflüssigkeiten ist kein ausreichendes Anzeichen für das Störungsbild Stottern, da sie auch bei nichtstotternden Personen vorkommen können. Entscheidend ist ihre Häufigkeit und ihre Qualität!

Kernsymptome

Dazu zählen unfreiwillige Blockierungen, Dehnungen von Lauten und Wiederholungen von Lauten und einzelnen Silben, aber auch einzelner Wörter.

Begleitsymptome

Darunter versteht man die Reaktionen auf diese Kernsymptome. Sie entwickeln sich aus dem Versuch, die Stottersymptome zu beenden oder zu vermeiden. Die Symptome können sich auf folgenden Ebenen äußern:

  • Emotionen und Einstellungen, z.B. Sprechangst, Frustration, Versagensängste

  • Verhalten/Sozialverhalten: z.B. Abbruch des Blickkontaktes, Vermeideverhalten von Sprechsituationen

  • Sprechverhalten: z.B. Veränderung der Sprechweise

  • Sprachliche Ebene: z.B. Vermeiden gefürchteter Wörter, Floskeleinsatz, Satzabbrüche

  • Motorik: z.B. physische Anspannung, Mitbewegungen, Grimassieren, Kopf- und Armbewegungen


Die Entstehung und der Verlauf des Stotterns ist ein dynamisches System mit großen individuellen Unterschieden. Kern- und Begleitsymptome stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig!

Kernsymptome führen einerseits zur Entwicklung von Begleitsymptomen. Begleitsymptome lösen aber auch Kernsymptome aus und verstärken sie. Zusätzlich können sich auch verschiedene Kernsymptome und Begleitsymptome jeweils untereinander beeinflussen.


Was können Sie tun?

Stärken Sie das Selbstbewusstsein Ihres Kindes

Beachten und loben Sie Ihr Kind für all die Dinge, die es schon kann und selbständig ausführt. Trauen Sie ihm Dinge zu, ohne es zu überfordern und stärken Sie so auf diesem Wege die eigenen Kompetenzen Ihre Kindes.

Zeigen Sie Ihrem Kind, dass Sprechen Spaß macht!

Je mehr sprachliche Anregungen Ihr Kind durch Sie erhält und je mehr es zum Sprechen ermutigt wird, um so leichter und offener wird es seine unvollkommene Sprechfähigkeit in unterschiedlichen Situationen dann auch üben:

  • Kasperle-Theater spielen, Puppenspiele, Singen, Rollen- und Fingerspiele, rhythmisch-musikalische Spiele, Verse und Reime, Erzählen und Nacherzählen.

  • Lenken Sie dabei Ihre Aufmerksamkeit auf die flüssigen Teile des Sprechens, und beachten sie all das, was Ihr Kind sprachlich schon ausdrücken kann.

  • Versuchen Sie dabei auf den Inhalt der Äußerungen zu achten und konzentrieren Sie sich in ihrer Aufmerksamkeit nicht auf die Unflüssigkeiten Ihres Kindes. Das, “was” das Kind sagt ist wichtig und nicht das “wie”!

  • Korrekturen in der Form von “Jetzt sag das doch noch mal” helfen Ihrem Kind nicht weiter!
 
Seien Sie Ihrem Kind gegenüber ein gutes Sprachvorbild

Sprechen wird u.a. auch durch Nachahmung gelernt. Helfen Sie Ihrem Kind, indem Sie sich selbst bemühen, langsam, ruhig und einfach zu sprechen. Versuchen Sie dabei Ihre sprachlichen Äußerungen nicht zu komplex zu gestalten und dem Niveau des Kindes anzupassen.

Versuchen Sie, möglichst viele “stotterfreie” Situationen herbeizuführen

Beobachten und notieren Sie, wie Ihr Kind auf bestimmte Personen, Situationen und Ereignisse reagiert. Wann stottert es viel, wann wenig, wann gar nicht? Versuchen Sie Situationen, in denen Ihr Kind häufiger stottert, so gut es geht zu vermeiden und diese Art der Stressfaktoren für das Kind zu reduzieren. So erhöhen sich zwangsläufig die Momente, in denen Ihr Kind seine Zunahme an Sprechflüssigkeit erfahren kann.

Versuchen Sie, möglichst viele stressfreie Gesprächssituationen herbeizuführen

Wenn Sie Ihr Kind oft beim Sprechen unterbrechen und dabei selber oft unter Zeitdruck stehen (“Nun sag doch schon endlich”) oder Konkurrenzdruck sich allmählich aufzubauen droht (“Dein kleiner Bruder kann das schon viel besser sagen”), wird unnötig Sprechdruck auf Ihr Kind ausgeübt, der es in seinen kommunikativen Möglichkeiten deutlich einschränkt.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind auf diesem Wege Sprechflüssigkeit erfährt, reduziert sich drastisch. Lassen Sie sich selbst und Ihrem Kind immer genügend Zeit, um das, was es sagen möchte, auch mitzuteilen.

Sollten Sie momentan keine Zeit haben, ist es wichtig ihrem Kind das ruhig zu erklären: “Hör mal, ich habe jetzt leider keine Zeit dir gut zuzuhören. Möchtest du mir das in Ruhe ...(später/beim MIttagessen/wenn du deine Jacke aufgehangen hast etc.) erzählen?”

Zunahme und Verringerung des Stotterns hängt auch vom Tempo ab. Achten Sie selber auf ihr eigenes Sprechtempo, versuchen Sie selber langsamer zu sprechen. Das Stottern verstärkt sich, wenn das Sprechtempo zunimmt. Eine Zunahme tritt gewöhnlich dann auf, wenn das Kind aufgeregt ist. Diese Aufregung kann sowohl negativer als auch positiver Art sein.



Strategien die zum Erfolg führen können:

  • Versuchen, die Aufregung beim Kind zu verringern

  • Ruhig bleiben und vermeiden, sich selbst aufzuregen

  • Stimme nicht erheben

  • Eigenes Sprechtempo verringern

  • Nicht zur Eile antreiben: Immer das Gefühl vermitteln, dass viel Zeit zum Sprechen da ist, egal ob flüssig gesprochen wird oder nicht



Was sollten Sie nicht tun?

Aus alledem, was Sie bisher über das Stottern erfahren haben, können Sie sich bereits selbst vorstellen, dass es zwecklos ist, das Kind zu bestrafen, es zu ermahnen oder ihm Ratschläge zu erteilen. Sie bewirken dadurch eher das Gegenteil. Weil dieser Punkt so wichtig ist, soll nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen werden, das alle Äußerungen wie

  • “Sprich langsam!”

  • “Hol tief Luft!”

  • “Überlege zuerst, was du sagen willst!”

  • “Reiß dich zusammen!”

  • “Sprich anständig!”

  • “Gib dir doch mal mehr Mühe beim Sprechen!”

oder Äußerungen in ähnlicher Form Ihrem Kind in keiner Weise helfen, sondern seine Stottersymptomatik nur verstärken und sein Selbstwertgefühl untergraben. Ebenso falsch wäre es, das Sprechen zu verbieten. Sie helfen Ihrem Kind auch nicht, indem Sie das gestotterte Wort für Ihr Kind zu Ende sprechen. Vermeiden Sie alles, was die Sprechfreude ihres Kindes hemmt.

Setzen Sie Ihr Kind keinen hektischen Situationen aus

Eile, Hektik, Zeitdruck, Nervosität, Aufregung beeinflussen das allgemeine Wohlbefinden Ihres Kindes und damit auch seine Sprechfähigkeit. Vermeiden Sie nach Möglichkeit solche zusätzlichen Belastungen für Ihr Kind in dieser sensiblen Entwicklungsphase.

Keine Kreuzverhöre oder drängenden Fragen

Man kann Kinder verunsichern und ihnen die Freude am Sprechen nehmen, wenn man sie mit Fragen bedrängt, die sie nicht beantworten können. Geben Sie dem Kind die Möglichkeit zu erzählen, was es loswerden möchte. Akzeptieren Sie es, wenn das Mitteilungsbedürfnis des Kindes Ihnen unbefriedigend erscheint.

Geben sie Ihrem Kind keine Sonderstellung in der Familie, nur weil es stottert

So wie das unflüssig sprechende Kind nicht benachteiligt oder bestraft werden darf, soll es andererseits auch nicht wegen seiner Redeweise verwöhnt oder bevorzugt werden. Nehmen Sie deshalb Ihrem Kind auch keine Arbeiten und Verrichtungen ab, die es selbst erledigen könnte, das wäre falsche Rücksichtnahme. Nehmen Sie ihm ebenso wenig sprachliche Tätigkeiten ab, die Ihr Kind selbst tun kann und möchte, auch wenn es dabei stottert. Wenn Sie Ihr Kind für eine bestimmte Handlung bestrafen müssen, lassen Sie sich nicht dadurch abhalten, dass Ihr Kind in dieser Situation gestottert hat. Das Kind muss jedoch klar wissen, dass es für eine bestimmte unerlaubte Handlung und nicht für sein Stottern bestraft wird.

Weiterführende Literatur und Informationen zu diesem Thema finden Sie unter www.bvss.de und unter www.stottern-und-schule.de und unter www.demosthenes-verlag.de. Sollten Sie zusätzliche Informationen wünschen, nehmen Sie Kontakt zu uns auf.



Stottern und Schule - Was hilft gegen Mobbing?

Immer wieder erreichen uns in der täglichen Arbeit mit stotternden Kindern und ihren Familien Fragen nach dem Motto: Was kann ich tun, wenn mein Kind später in der Schule gehänselt wird?

Hänseln und Scham im Zusammenhang mit dem Stottern sind für Schulkinder und ihre Eltern häufig ein relevantes Thema. Hierdurch kann die Belastung wachsen und eine Verschlimmerung des Stotterns eintreten. Ganz verhindern können wird man dies aber genauso wenig, wie wenn ein Kind z.B. wegen auffälligen Äußerlichkeiten gehänselt wird. Dennoch ist es gut, wenn man Hilfestellungen an die Hand bekommt, wie man sich als Elternteil verhalten kann und was man seinem stotternden Kind mit auf den Weg geben kann.

Die hier zum Download vorgestellte Broschüre aus dem Natke Verlag enthält Antworten auf alle wichtigen Fragen zum Stottern, die speziell von Schulkindern gestellt werden bzw. für diese Zielgruppe von Interesse sind.

Aus diesem Grund bildet diese Materie einen Schwerpunkt der Veröffentlichung.